Schering Stiftung

Symposium 

Mikroreaktoren und Mikrowelle

an Universitäten und in der Industrie

Mikroreaktoren und Mikrowelle

an Universitäten und in der Industrie

Termin:

30.08.2006


„Wann soll man etwas Funktionierendes miniaturisieren?“- so eröffnete der Chemiker Stephen Haswell von der University of Hull, Großbritannien, seinen Vortrag mit dem Titel ‚Lab on a Chip‘. „Immer dann, wenn ein System oder ein Prozess durch Miniaturisierung verbessert werden kann“, so Haswell. Neue Technologien, Prozessintensivierung sowie der gegenwärtige Stand und die Akzeptanz moderner Synthesetechnik in Forschung und Produktion standen im Fokus des dritten Symposiums der Reihe „Wissenschaftliche Symposien 2006“ der Schering Stiftung. Thema der Veranstaltung war „New Avenues to Efficient Chemical Synthesis: Emerging Technologies“.

„Früher hat ein Chemiker in der Wirkstoffforschung etwa 20 neue Substanzen pro Jahr synthetisiert“, so Brian Warrington von der Universität Cambridge, Großbritannien. „Heute sind es in viel kürzeren Zeiträumen ganze Sammlungen von Substanzen einer chemischen Grundstruktur in allen möglichen Variationen. Durch Kombination von Mikroreaktoren mit anderen Systemen werden diese so genannten ‚compound libraries‘ parallel getestet.“ Warrington, der selbst auf eine vierzigjährige Berufskarriere zurückblickt, hält die Einsparung von Zeit bei der Mikroreaktortechnik für einen der wichtigsten Fortschritte dieser Technologie.

Mikroreaktoren bestehen aus standardisierten Einheiten, die je nach Syntheseweg im Baukastenprinzip zusammengesetzt und in verschiedene Systeme integriert werden können. Die chemischen Reaktionen finden in Mikrokanälen von 10 – 300 µm Durchmesser statt, die ein sehr großes Oberflächen/ Volumen-Verhältnis für die jeweilige Reaktion bieten. In Folge sind die Reaktionsabläufe teilweise selektiver, effektiver, sicherer und die Reaktionszeiten deutlich kürzer. Die Mikrokanalwände können, zum Beispiel mit Katalysatoren bestückt, direkt in die Reaktion integriert werden. Mikroreaktorsysteme können aus Stahl, Glas, Silikon oder Polymermaterialien bestehen. Die Reaktion in Mikroreaktoren lässt sich wie in herkömmlichen Anlagen hinsichtlich Durchflussrate, Temperatur sowie Massen- und Energietransport kontrollieren und steuern. Daher lassen sich die jeweiligen Reaktionsbedingungen innerhalb kürzester Zeit optimieren und pro Zeiteinheit wesentlich mehr Experimente durchführen. Mikroreaktoren sind in der Flüssig-, Fest- oder Gaschemie aber auch für Kristallisationsprozesse und Nanopartikel einsetzbar. Ein weiterer Vorteil: sie sind portabel und damit besonders interessant für die industrielle Produktion. Auch für biologische und biochemische Synthesereaktionen wie die Polymerasekettenreaktion (PCR), zur Zellsortierung sowie zur Aufzucht von Zellen in hochparallelem Durchsatz können Mikroreaktoren eingesetzt werden.

„Die Synthese von Naturstoffen war bisher ein langwieriger und komplizierter Prozess, der durch den Einsatz von Mikroreaktoren sehr vereinfacht wurde“, erklärte Peter Seeberger, von der ETH Zürich, Schweiz. Seeberger kam erstmalig 2001 bei Klavs Jensen vom Massachusetts Institute of Technology Boston, USA, mit der Mikroreaktortechnik in Berührung. Heute gehört er wie Jensen zu den Pionieren dieser Technologie. „Wir können derzeit mit Durchfluss-Mikroreaktoren etwa 40 Substanzen am Tag synthetisieren und durch die Kopplung mit verschiedenen Analysetechniken die neuen Substanzen gleich untersuchen“, berichtete Seeberger in seinem Vortrag.

In der pharmazeutischen und der Feinchemikalienindustrie hat die Mikroreaktortechnologie bereits den Sprung aus dem Forschungslabor geschafft. Seit 2005 wird in China hochreines Nitroglycerin in einer vom Institut für Mikrotechnik in Mainz entwickelten Mikroreaktor-Anlage produziert und als Wirkstoff zur Behandlung von Angina Pectoris-Anfällen verwendet. Noch in diesem Jahr soll laut Volker Hessel vom Institut für Mikrotechnik Mainz eine mikrostrukturierte Pilotanlage für Radikal-Polymerisation in Japan in Betrieb gehen.

Die zweite große Entwicklung in der Organischen Synthese sind derzeit neben den Mikroreaktoren die Mikrowellen. Oliver Kappe von der Karl-Franzens-Universität Graz, Österreich, zählt zu den Pionieren dieser Technologie. 1998 entdeckte er die Mikrowelle für ausgewählte organische Synthesen. Die ersten Schritte mit einer Haushaltsmikrowelle überzeugten den Synthesechemiker derart, dass er ein Jahr später begann, sein Labor mit optimierten kommerziellen Mikrowellengeräten auszustatten.

Durch die Mikrowelle erfolgt der Energieeintrag mit Lichtgeschwindigkeit direkt in geschlossene Gefäße. Zusammen mit dem sich in geschlossenen Gefäßen aufbauenden Druck lassen sich so Reaktionszeiten stark verkürzen und Ausbeuten erhöhen. „Durch die Mikrowellentechnik arbeiten wir im Labor viel produktiver“, sagte Kappe. „Dank kürzerer Reaktionszeiten können wir viel mehr Ideen ausprobieren und Reaktionen besser und schneller optimieren.“ Großer Vorteil der Technik ist auch die Kontrollierbarkeit von Synthesen mit sehr hohen Reaktionstemperaturen sowie von durch Wärme hervorgerufenen Nebenreaktionen, da die Energiezufuhr sofort gestoppt werden kann. Auch für biochemische Synthesen wie PCR wird die Mikrowelle bereits angewandt. Die Grenzen der Mikrowellentechnologie liegen eindeutig im Scale-up. Große Ansätze lassen sich von Mikrowellen nicht vollständig durchdringen. Wenn es allerdings für einen Stoff keinen anderen Syntheseweg gibt, wäre der Einsatz von kleineren Durchflussreaktoren mit Mikrowelleneinheit durchaus eine Alternative. Ob die Mikrowellentechnik im größeren Maßstab den Sprung aus dem Forschungslabor in die Produktion schafft, hängt ganz wesentlich auch von der Energiebilanz ab, so die Experten auf dem Symposium. Die Energiebilanz liegt heute deutlich hinter konventionellen Heizsystemen. „Dennoch ist es wichtig, sich dieser neuen Technologie zu öffnen?, erklärte Kappe. „Die Forschung der kommenden Jahre wird sich sowohl praxisrelevanten als auch theoretischen Fragestellungen der Mikrowellentechnik widmen müssen.“

In der Abschlussdiskussion waren sich alle Teilnehmer einig, dass die Anwendung von Mikrowelle und Mikroreaktor den Laboralltag stark verändert hat. „Beide Technologien eroberten sich in den letzten fünf Jahren in chemischen und biochemischen Laboren feste Plätze“, so Stephen Haswell. „Kleine Volumina, hohe Reaktionsgeschwindigkeiten, sehr saubere Reaktionsprodukte und einfache Bedienung haben viele Forscher überzeugt, wie ihr routinemäßiger Einsatz heute zeigt. Erst beim scale-up ändern sich die Regeln, so dass ein konventioneller Batch-Reaktor bei größeren Ansätzen vorteilhafter sein kann.“

Beide Technologien sind genau wie high-throughput-Techniken und Automatisierung für die pharmazeutische Industrie sehr attraktiv. Riesige Substanzsammlungen lassen sich mit geringem personellem Aufwand in sehr kurzer Zeit herstellen und testen. So bleibt mehr Zeit für kreatives Arbeiten. „Wichtig ist vor allem die Frage, wie wir mit diesen neuen Technologien in Zukunft umgehen“, so Thorsten Blume von der Schering AG, Mitorganisator des Symposiums. „Jede neue Technologie braucht ihre Pioniere aber vor allem längerfristige Forschungsförderungen, integrierte Konzepte und intensive interdisziplinäre Kooperationen zwischen verschiedenen Bereichen, die durch Symposien, wie dieses, neue Impulse bekommen.“ Mit der aktuellen Bestandsaufnahme zu neuen Technologien hat die Schering Stiftung einen entscheidenden Beitrag in diesem Prozess geleistet.

Die Ergebnisse des Symposiums werden beim Springer Verlag publiziert und sind im Buchhandel erhältlich. Die Reihe „Wissenschaftliche Symposien“ der Schering Stiftung wird vom 22. bis 24. Oktober 2006 mit einem Workshop zum Thema „Immunotherapy in 2020 – Visions and Trends for Targeting Inflammatory Diseases in the Future“ in Potsdam fortgesetzt.

Prof. Peter H. Seeberger, Swiss Federal Institute of Technology (ETH), Zürich

Dr. Thorsten Blume, Chemical Development, Schering AG, Berlin

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Immuntherapie im Jahr 2020 

Workshop — 22.10.2006

Im Mittelpunkt des Workshops steht die Frage, wie neuste Erkenntnisse zu einer verbesserten Diagnostik und zu neuen Medikameten und Therapien führen können.

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