Ernst Christian Friedrich Schering war sowohl kompetenter Apotheker als auch visionärer Unternehmer. Durch seine Innovationen trug er dazu bei, die Produktion von Pharmazeutika zu revolutionieren und den Grundstein für eine forschungsbasierte Pharmaindustrie in Deutschland zu legen. Vor 200 Jahren, am 31. Mai 1824, wurde er in Prenzlau in der Uckermark als jüngstes von sechs Kindern einer Gastwirtsfamilie geboren.[1]
Als Gymnasiast wollte Schering Förster werden, gab aber schließlich dem Wunsch der Familie nach, eine Laufbahn als Apotheker einzuschlagen. Allerdings bestand er darauf, nur von den Besten zu lernen. Statt sich in einer Provinzapotheke ausbilden zu lassen, entschied er sich für die berühmte Apelius’sche Apotheke „Zum schwarzen Adler“ in Berlin als Lehrapotheke. Dort absolvierte er von 1841 bis 44 die Ausbildung. Schon als Lehrling entwickelte er dabei den Ehrgeiz, nur Stoffe von größtmöglicher Reinheit herzustellen. Denn zu dieser Zeit, in der es noch keine nennenswerte chemische und pharmazeutische Industrie gab, mussten Apotheker die Präparate, die sie ihren Kunden anboten, selbst im eigenen Labor produzieren.
Im Anschluss ging Schering, wie es damals üblich war, als pharmazeutischer Gehilfe auf Wanderschaft. Er kam nach Westfalen und ins Rheinland und fing 1847 an, in einer Armenapotheke in Aachen zu arbeiten, wovon er sich neue und vielseitige Erfahrungen versprach. Während des Revolutionsjahres 1848 hielt er sich in Recklinghausen auf. Bereits zu dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit der Verantwortung seines Berufsstands, dem er eine bedeutende Rolle für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung zumaß. Auf die Forderung der Revolutionäre nach völliger Gewerbefreiheit reagierte er daher besorgt. An seinen Bruder schrieb er: „Welch ein Unsinn: der Apotheker wird Krämer, der Patient Ausbeutungsobjekt und die Wissenschaft geht vor die Hunde.“[2]
Zurück in Berlin vervollständigte Schering seine Ausbildung mit einem zweisemestrigen Studium in Chemie, Physik und Botanik. 1850 legte er das Staatsexamen als „Apotheker Erster Klasse“ mit der Note „sehr gut“ ab. Er heiratete, arbeitete in verschiedenen Berliner Apotheken, bis er als staatlich anerkannter Pharmazeut vereidigt wurde, und war Mitunterzeichner der Statuten der Corporation der Apotheker Berlins vom 2. April 1851, dem späteren Verein der Apotheker Berlins.
Am 1. Juli 1851 kaufte Schering mit Unterstützung seiner Familie und eines Freundes sowie zweier auf dem Gebäude belassenen Hypotheken eine Apotheke in der Chausseestraße.[3] Sie lag eingezwängt zwischen Mietskasernen in einem Industriegebiet, das wegen seiner vielen Schornsteine als „Feuerland“ bekannt war. Schering benannte sie in „Grüne Apotheke“ um – ob aus Optimismus oder weil auch die Apotheke in seiner Heimatstadt Prenzlau so hieß, ist nicht überliefert. Hier begann er, Chemikalien für die eigenen pharmazeutischen Produkte herzustellen und hielt Ausschau nach Möglichkeiten, sein Geschäft zu spezialisieren. Dabei interessierte er sich vor allem für den rasanten Aufschwung, den die neue Kunst der Fotografie nahm. Schnell bemerkte er, dass viele der Aufnahmen technisch mangelhaft waren, weil zu ihrer Entwicklung Chemikalien von unzureichender Qualität verwendet wurden. Schering analysierte die auf dem Markt erhältlichen Importchemikalien und erkannte, dass die fotografischen Techniken nur dann gute Ergebnisse lieferten, wenn für die Erstellung von Platten und Bildern Chemikalien von hoher Reinheit verwendet wurden. Also experimentierte Schering und produzierte im eigenen Betrieb Jod- und Bromsalze, Cyankalium, Pyrogallussäure, Kollodiumwolle und anderes mehr. Die Anerkennung erfolgte umgehend, und die „Grüne Apotheke“ wurde zu einer der ersten Adresse für Fotochemikalien.[4]
1855 präsentierte Schering seine Produkte auf der Pariser Weltausstellung und gewann dort eine Silbermedaille für die Reinheit seiner Präparate.
Nach einigen kleineren Pannen in den engen Räumen der „Grünen Apotheke“ entschloss sich Schering 1858, ein Grundstück an der Müllerstraße 171 zu kaufen. 25 Meter in der Breite erstreckte es sich 250 Meter in Richtung Nordhafen und ist noch heute Teil des Geländes der ehemaligen Schering AG, die 2006 von Bayer übernommen wurde. Es lag direkt hinter der Stadtgrenze im damals noch kaum bebauten Wedding. 1864 wurde die neue Produktionsstätte bezogen und als „Chemische Fabrik E. Schering“ eröffnet. Neben der eigentlichen Produktion baute Schering hier ein technisches Labor zur Entwicklung von industriellen Herstellungsverfahren für seine chemischen und pharmazeutischen Erzeugnisse auf. Da er als Unternehmer Wert darauf legte, stets realistisch zu agieren, war es ihm wichtig, die Kontrolle über das gesamte Geschäft und alle Phasen der Produktion zu behalten. So nahm sich die amtlich genehmigte Produktionspalette im Eröffnungsjahr 1864 vergleichsweise bescheiden aus:
In dieser Aufzählung fehlen die Feinchemikalien, die schon in der „Grünen Apotheke“ in größeren Mengen produziert wurden: Fotochemikalien wie unter anderem Jod- und Bromsalze sowie von pharmazeutischen Präparaten redestilliertes Glycerin und Malzextrakt.[5]
Da es noch keine geregelten Ausbildungswege für Laboranten und Chemiker gab, bildete Schering seine Mitarbeiter selbst aus. Neben den unternehmerischen Aktivitäten hielt er weiterhin enge Kontakte zu führenden Chemikern und veröffentlichte in Fachmagazinen Artikel zu den Ergebnissen aus seiner eigenen Forschungspraxis. Gemeinsam mit unter anderem A. W. von Hofmann war er 1868 Mitbegründer der Deutschen Chemischen Gesellschaft, deren Schatzmeister er bis 1880 blieb.
Während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 wurde die Chemische Fabrik mit der Versorgung mehrerer Armeekorps mit Arzneimitteln betraut. Nach Kriegsende und Reichsgründung wandelte Schering seine Fabrik wie viele andere preußische Unternehmer in eine Aktiengesellschaft um. Ihr Name lautete nun „Chemische Fabrik auf Actien (vorm. E. Schering)“. Er selbst blieb bis 1874 deren alleiniger Vorstand, während er den Aufsichtsrat großteils mit Apothekern besetzte. 1882 zog sich Schering aus dem Vorstand zurück, blieb aber bis zu seinem Tod am 27. Dezember 1889 Mitglied des Aufsichtsrats. Auch im Anschluss wuchs das Unternehmen, in dem keine Familienmitglieder Scherings aktiv waren, weiter und entwickelte sich als Schering AG zum global operierenden Konzern von Weltgeltung.
„E. Schering ist ganz eigentlich ein Pionier auf dem Felde der chemischen Industrie in unserem Vaterlande gewesen. […] Die Anfangs sehr beschränkten Werkstätten mussten sehr bald erweitert werden, und schon nach wenigen Jahren hatte sich die fabricatorische Thätigkeit des Mannes den Weltmarkt erobert. Welchen Umfang die von Schering begründeten industriellen Betriebe schliesslich angenommen haben […] ist in chemischen Kreisen allseitig bekannt. Der Verewigte hat inmitten dieser aufreibenden Geschäftsthätigkeit jederzeit ein lebendiges Interesse für die Fortschritte der Wissenschaft behalten; er war stets bereit, die reichen Hilfsmittel seiner grossartigen Werkstätten in den Dienst der Forschung zu stellen […].” A. W. Hofmann, Nachruf auf Ernst Schering[6]
[1] Berghausen, Christine, „Schering, Ernst Christian Friedrich“, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 697-698 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/artikelNDB_pnd139561935.html
[2] E. Schering an August Schering (20. Mai 1848), Historisches Archiv Scheringianum, Berlin, zitiert nach: Wlasich, Gert J., „Über Ernst Schering“, in: Ernst Schering, „Reisen 1876–78. Tagebücher“, Schriftenreihe Scheringianum (2001), p. 72
[3] Berghausen a.a.O.
[4] Wlasich, Gert J., „Über Ernst Schering“, in: Ernst Schering, „Reisen 1876–78. Tagebücher“, Schriftenreihe Scheringianum (2001), p. 74 f.
[5] ebd.
[6] zitiert nach: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft, 23. Jahrgang, Sitzung vom 13. Januar 1890
Unter den Linden 32-34
10117 Berlin
Telefon: +49.30.20 62 29 62
Email: info@scheringstiftung.de
Donnerstag bis Freitag: 13-19 Uhr
Samstag und Sonntag: 11-19 Uhr
Eintritt frei