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Vertrauen in die Wissenschaft

Wissenschaft und Gesellschaft im Dialog

Vertrauen in die Wissenschaft

Wissenschaft und Gesellschaft im Dialog

Aktuelle Umfragen zeigen: Je mehr die Öffentlichkeit über Wissenschaft weiß, umso mehr neigt sie dazu, ihr zu misstrauen. Angesichts dieses Paradoxons fragen sich Wissenschaftler, was sie tun können, um das Vertrauen einer zunehmend skeptischen Öffentlichkeit nicht zu verlieren.
Experten aus Deutschland, Großbritannien und der Schweiz trafen sich, um über die Kommunikation von Wissenschaft und Gesellschaft zu diskutieren. Zu dieser Podiumsdiskussion hatten die Schering Stiftung, der British Council und die britische Botschaft Wissenschaftler, Journalisten und Entscheidungsträger eingeladen. Die Veranstaltung wurde von dem freien Wissenschaftsjournalisten Vincent Landon aus Berlin moderiert.

„Die Bedeutung von Vertrauen in Wissenschaft und Forschung wird besonders deutlich, wenn die Öffentlichkeit mit realen oder als real wahrgenommenen Gesundheitsrisiken wie zum Beispiel BSE, SARS oder der Vogelgrippe konfrontiert wird“, äußerte Professor Reinhard Kurth, Leiter des Robert-Koch-Instituts in Berlin. Nach seiner Einschätzung bewegen sich alle Wissenschaftler, die Politiker, die Medien oder die Öffentlichkeit informieren, auf einem sehr schmalen Grat zwischen Unter- und Überschätzung von Risiken. Aussagen zu Brennpunktthemen müssten oftmals bereits zu einem Zeitpunkt gemacht werden, an dem eine sichere wissenschaftliche Risikobewertung oder Risikoabschätzung aufgrund unzureichender Daten unmöglich sei.

Die Glaubwürdigkeit von Aussagen zu öffentlich diskutierten Fragen hinge zudem ganz wesentlich vom Ruf des Wissenschaftlers oder der Institution ab, für die der Wissenschaftler arbeite, ergänzte Kurth. Seiner Meinung nach besteht die Aufgabe von Wissenschaftlern darin, Laien so zu informieren, dass sie in der Lage sind, bestimmte Situationen selbst richtig einschätzen zu können. „Wir müssen zugeben, wenn es Unklarheiten gibt“, erklärte er. „Offen zu sagen, was wir nicht wissen, erhöht unsere Glaubwürdigkeit. Vertrauen in die Wissenschaft könne sich nur entwickeln, wenn die Menschen das Gefühl haben, von den Wissenschaftlern ernst genommen und verständlich informiert zu werden. Wir müssen der Öffentlichkeit Respekt entgegenbringen. Und wir brauchen Mitgefühl und die Bereitschaft, zu lernen, wenn wir die emotionalen Aspekte eines Themas ansprechen.“ In seinem Redebeitrag rief er zu politischer Neutralität und zur Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen auf.

Die Ethik in der Wissenschaft war auch Thema des Beitrages von Professor Jürgen Mittelstraß, Direktor des Zentrums Philosophie und Wissenschaftstheorie der Universität Konstanz. Er ging der Frage nach, wann Wissenschaftler in ihrer Arbeit mit ethischen Problemen konfrontiert werden und warum sich Forscher ethischer Kodizes verpflichtet fühlen müssen. Ethische Fragestellungen, die die Wissenschaft betreffen, lassen sich nach Mittelstraß grob in drei Kategorien einteilen: Probleme können bei der Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse auftreten wie zum Beispiel die Atombombe als angewandte Nuklearforschung, sie können mit der Forschung selbst entstehen wie beispielsweise in der Stammzellforschung und in der Reproduktionsmedizin oder durch Lügen und Betrügereien wie im Skandal um den südkoreanischen Klonforscher Hwang Woo-suk.

Die Diskussion um Vertrauen in die Wissenschaft spiegelt nach Einschätzung der Experten den Einfluss von Kultur und Geschichte in den verschiedenen Ländern wider. „Warum unterscheidet sich zum Beispiel die Gesetzgebung zur Stammzellforschung in England so sehr von der in Deutschland?“, fragte Professor Klaus Tanner, Mitglied der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Der Grund ist nicht, dass die Forschung sich unterscheiden würde, sondern die unterschiedlichen kulturellen und historischen Erfahrungen.“ Wie Menschen Risiken beurteilen und wie sie diese wahrnehmen, verrät ihr Glaubenssystem, so Tanner.

„Die Einstellung zur Wissenschaft und zu neuen Entwicklungen in Wissenschaft und Technik unterscheiden sich in den verschiedenen Teilen Europas stark“, so Dr. David Coles vom Direktorat Wissenschaft und Gesellschaft der Europäischen Kommission. Er präsentierte die neuesten Umfrageergebnisse des Eurobarometers, in dem in jedem der 25 EU-Mitgliedstaaten und in sieben anderen Ländern 1.000 Einwohner befragt wurden. Coles erklärte, dass in den Gesellschaften mit dem größten technischen Fortschritt die Befürwortung von Wissenschaft und Technik viel weniger vorbehaltlos und das Bewusstsein für die Risiken größer sei. In der gesamten EU haben die Menschen hohe Erwartungen an den medizinischen Fortschritt. Ungefähr 88 Prozent der Befragten glauben, dass Wissenschaft und technischer Fortschritt helfen werden, Krankheiten wie AIDS und Krebs zu besiegen.

73 Prozent der Befragten gaben an, dass Wissenschaftler freie Forschung betreiben sollten, vorausgesetzt sie respektierten ethische Normen. Nur 10 Prozent lehnten dies ab, der Rest war unentschlossen. Auf die Frage hingegen, ob die Regierung mehr Geld in die Forschung und weniger in andere Dinge investieren sollte, gab es bedeutende nationale Unterschiede, die von 69 Prozent in Italien, 68 Prozent in Spanien und Frankreich bis zu gerade noch 25 Prozent in den Niederlanden reichten. In Zypern stimmten 88 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass genetisch veränderte Lebensmittel gefährlich seien, lediglich 4 Prozent widersprachen dem. In den Niederlanden hingegen stimmten 30 Prozent zu und 39 Prozent widersprachen, der Rest in beiden Ländern war unentschlossen.

Wie Wissenschaft und Gesellschaft in Interaktion treten können, zeigt die Schweiz: Die direkte Demokratie ermöglicht den Schweizern, über alle vom Parlament verabschiedeten Gesetze abzustimmen und neue Gesetze vorzuschlagen. „Während der letzten 15 Jahre wurde sechsmal über wissenschaftliche Aktivitäten abgestimmt. Und in fünf Fällen fiel die Entscheidung zugunsten der Wissenschaft aus“, sagte Dr. Gerard Escher, stellvertretender Leiter des Staatssekretariats für Erziehung und Forschung in der Schweiz. Zu diesen Volksabstimmungen zählen beispielsweise die Aktivitäten gegen Tierversuche in den Achtzigerjahren, die Initiative, die 1998 und im November 2004 jegliche Genforschung für illegal erklären wollte und der Entscheid zum Einsatz menschlicher Embryonen in der Stammzellforschung. Im letzten Jahr jedoch stimmten die Schweizer für ein fünfjähriges Moratorium zum Einsatz genetisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft.

Das Misstrauen gegenüber multinationalen Konzernen sei der Hauptgrund für die Ängste der Befragten gegenüber genetisch veränderten Lebensmitteln, sagte Professor Nick Pidgeon von der School of Psychology an der Cardiff University. „Eine Ursache für den Vertrauensverlust der Öffentlichkeit in die Wissenschaft sind die Bedenken darüber, wer die Forschung finanziert“, erklärte Pidgeon. Er zitierte eine in Großbritannien und Nordirland durchgeführte Umfrage aus dem Jahr 2003, die zeigt, dass bei Themen wie der Gentechnik vor allem Wissenschaftler von Universitäten das größte Vertrauen genießen, gefolgt von Wissenschaftlern in Regierungsämtern und in der Industrie. Er berichtete, dass auch für andere Themen wie zum Beispiel den Klimawandel gelte, dass das Maß an Vertrauen in die Wissenschaftler direkt mit ihrem Arbeitgeber verbunden sei. „Die Hypothese, dass in den westlichen Nationen das Vertrauen in die Wissenschaft verschwunden sei, ist nicht wahr“, sagte er. „Es ist immer wichtig, zwischen der allgemeinen Haltung gegenüber der Wissenschaft und der Haltung gegenüber ganz spezifischen Themen zu unterscheiden. Wir können uns gleichzeitig wegen bestimmter Risiken ängstigen und trotzdem einen starken Glauben an die Wissenschaft im Allgemeinen haben.“ Wissenschaftler sollten sich nicht darauf beschränken, die Menschen davon zu überzeugen, dass Wissenschaft großartig sei, fügte er hinzu. „Im Dialog und bei der Beratung sollten sie sich vielmehr der Risikowahrnehmung und dem Risikomanagement widmen.“ Er appellierte an alle Wissenschaftler: „Ihnen wird Vertrauen geschenkt, weil Sie ein Experte sind und weil Sie zeigen, dass Ihnen die Person, die Ihnen vertraut, wichtig ist oder weil Sie dieselben Werte haben.“

Zur Rolle der Medien im Diskurs von Gesellschaft und Wissenschaft äußerte sich Professor Peter Weingart, Leiter des Institutes für Wissenschaft und Technikforschung an der Universität Bielefeld. Er sagte, dass Wissenschaftler die Medien nicht als Übertragungskanal sehen dürften, durch welchen rationale Diskurse von den Wissenschaftlern an die Öffentlichkeit geleitet werden können. „Die Presse behandelt die Wissenschaft viel besser, als diese denkt, und wenn Kritik geäußert wird, geschieht das in Anbetracht gewisser strittiger Fragen“, so Weingart.

Diesen Standpunkt teilte auch die Journalistin Vivienne Parry aus London. „Wissenschaftler fühlen sich ungeliebt und sind dabei absolut sicher, dass daran die Medien und ihre Art, Wissenschaft darzustellen, Schuld sind“, erklärte Parry. Sie ergänzte, dass Zeitungen die Einstellungen ihrer Leser widerspiegelten. Es sei nicht ihre Aufgabe, Werbung für die Wissenschaft zu machen. In unserer heutigen Welt mit ihrem unerbittlichen Wettbewerb um Fördergelder neigen die Wissenschaftler dazu, ihre Forschung manchmal schon Jahre vor jeglicher Umsetzung anzupreisen, resümierte Parry.

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