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Universal oder beliebig? Komplexitätsforschung jenseits traditioneller Disziplinen | Vortrag am 08.11.2011

Universal oder beliebig? Komplexitätsforschung jenseits traditioneller Disziplinen | Vortrag am 08.11.2011


Am Dienstag, 08.11.2011, um 18.30 Uhr hält Prof. Dr. Hans H. Diebner (Leiter des Projekts Performative Wissenschaft – Grundlagenforschung zwischen Kunst und Wissenschaft am Institut für Neue Medien, Frankfurt am Main) in der Schering Stiftung einen öffentlichen Vortrag zum Thema „Komplexitätsforschung jenseits traditioneller Disziplinen“. Der Vortrag ist eine begleitende Veranstaltung zur Ausstellung „IRRATIONAL COMPUTING“, die bis zum 17. Dezember 2011 im Projektraum der Schering Stiftung zu sehen ist.

Es versteht sich nahezu von selbst, dass am Anfang eines Vortrags zur Komplexitätsforschung ein Definitionsversuch stehen sollte. Allein, es zeigt sich anhand historischer und aktueller Versuche rasch, dass dies ein unbefriedigendes Unterfangen bleibt. Lediglich die so genannte algorithmische Komplexitätstheorie, die in der Kryptographie und Informatik von einiger Relevanz ist, kann mit einer eindeutigen Definition von Komplexität aufwarten, obwohl auch diese ihre Tücken hat.

Im Mittelpunkt des Vortrags stehen kybernetische und natürliche komplexe Systeme, zu deren Verständnis die algorithmische Komplexität ohnehin wenig dienlich ist. Um das Wesen komplexer Systeme zu erfassen, wird ein historischer Pfad beschritten und anhand konkreter Beispiele ein Versuch der Verallgemeinerung unternommen. Es zeigt sich, dass mit der Klasse von Systemen, die man komplex nennt, eine Entsagung von den Paradigmen der klassischen, d.h. rationalistischen Wissenschaften einhergeht. Mit einigem Recht lässt sich sagen, dass eine Art Alchemie und eine Brise Mystizismus – ja man kann sagen, eine Irrationalität – mit der Erforschung komplexer Systeme einhergeht, was keineswegs abwertend zu verstehen ist. Dazu gibt es anschauliche Beispiele von komplexen ökologischen und physiologischen Prozessen.

Historisch geht der Komplexitätsforschung die allgemeine Systemtheorie voraus, die sich deutlich von der klassischen Wissenschaft abgrenzte und sich vielmehr an den ganzheitlichen Ansätzen der Lebensphilosophie orientierte. Ein wichtiges Schlagwort ist „Kontingenz“. Man suchte nach Methoden, der Erfahrung der Lebenswelt gerecht zu werden, dass nämlich eine komplexe Dynamik immer auch hätte anders verlaufen können, d. h. kontingent ist. Ein Schlag ins Gesicht der Wiederholbarkeits­forderung der klassischen Physik und des Glaubens an die prinzipielle Wissbarkeit der Dynamik des Universums. Der Wissenschaftssoziologe Andrew Pickering brachte daher erstmals für die neue Forschungsmethode die Beschreibung „ontologisches Theater“ ins Spiel, also eine Art der Auseinan­dersetzung mit den zu erforschenden Dingen, die an künstlerisch-performative Praktiken erinnert. Der Vortrag ist reich an einschlägigen Beispielen.

Allerdings erhob die Systemtheorie auch einen Universalitätsanspruch, der sich vor allem in der verwandten Kybernetik als eine Hybris erwies, die auch eine Verwissenschaftlichung der Philosophie und der Künste mit einschloss. Am Schluss des Vortrages sollen daher auch kritische Anmerkungen zur beobachteten Grenzauflösung kultureller Praktiken nicht fehlen, die ganz sicher durch die Komplexitätsforschung aber auch die wissenschaftsaffin gewordenen Künste katalysiert wird.

Hans H. Diebner studierte Physik in Tübingen und promovierte 1998 bei Prof. Otto E. Rössler im Bereich der Chaosforschung und komplexe Systeme. Als Postdoc war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Biometrie der Universität Tübingen in der Arbeitsgruppe von Prof. Klaus Dietz und arbeitete an der immuno-epidemiologischen Modellierung von Malaria und anderen Infektionskrankheiten. Seit 1999 liegt sein Arbeitsschwerpunkt auf Grundlagenforschung zur „performativen Wissenschaft“ – ein Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft. Unter diesem Begriff versucht er eine Methodik in den Wissenschaften zu etablieren, bei der die Involviertheit der ForscherInnen berücksichtigt wird, sodass Forschung einen künstlerisch-performativen Charakter bekommt. Von 1999 bis 2005 leitete er das Institut für Grundlagenforschung am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Seit Januar 2006 leitet Hans Diebner das Projekt „Performative Wissenschaft – Grundlagenforschung zwischen Kunst und Wissenschaft“ am Institut für neue Medien in Frankfurt am Main.

Mit der Vortragsreihe und der Ausstellung „IRRATIONAL COMPUTING“ fördert die Schering Stiftung erneut den Dialog zwischen zeitgenössischer Kunst und Wissenschaft. Die Vorträge sind kostenlos und richten sich an die interessierte Öffentlichkeit.

Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie hier.

Vortrag am 08.11.2011, 18.30 Uhr
Schering Stiftung
Unter den Linden
10117 Berlin

Um Anmeldung wird gebeten an anmeldung@scheringstiftung.de

 

Foto: IRRATIONAL COMPUTING von Ralf Baecker, Foto: Roman März

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